Anders.

Es war eiskalt und wir saßen draußen auf einer kleinen, rostigen Bank. Der Versuch, meine Hände am Pulli zu wärmen, scheiterte. Es war eine spontane Entscheidung gewesen, die Schule zu verlassen, sodass die Zeit nicht reichte, sich eine Jacke mitzunehmen. Schlechte Entscheidung. "Weißt du", flüsterte sie, "ich hasse jeden Tag, den ich verbringen muss." Die blonden Locken fielen ihr ins Gesicht, während sie ihre viel zu stark geschminkten Augen für einen kurzen Moment schloss. An ihrer entspannten Haltung merkte ich, dass sie keineswegs fror. "Geht mir auch so", erwiderte ich und versuchte, mir nicht all den Hass anmerken zu lassen, der mich überfällt, sobald ich an die Schule dachte. Ich wusste nicht, ob ich genau für sie in dem Moment die Mauer fallen lassen sollte, die man sich Tag für Tag aufbaute. Und als für einen weiteren Moment Stille herrschte, setzte ich an: 
"Jeden Tag zwingt man sich aufzustehen und dann betritt man ein Gebäude mit lauter Menschen, von denen man gehasst wird. Sie schauen einen an, als wäre man nicht von dieser Welt, verunsichern einen. Sie durchbohren jeden mit ihren biestigen Blicken."
"Und sobald man ihnen den Rücken zukehrt, reden sie über einen, als gäbe es keinen Morgen", ergänzte sie.
"Und lachen, sobald man anders wirkt. Unperfekt."
"Dabei heißt es doch immer, anders sein ist gut."
"Heutzutage nicht mehr, denke ich."
"Wer anders ist, wird ausgestoßen."
"Genau. Wer anders ist, wird gehasst."
"Genau. Ein Hoch auf die Gesellschaft."
"Ein Hoch darauf, anders zu sein."


2 Kommentare:

  1. Ach, Ginny. Ich lese deine Blogeinträge so unglaublich gerne, da ich mich vollkommen mit ihnen identifizieren kann, wenn du verstehst, was ich meine. Ich bin froh, dass du jetzt wieder regelmäßiger bloggst.

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  2. Hallo Ginny. ♥
    Eine sehr schöne Geschichte.
    Ich hoffe sehr, dass sie nicht auf dich zutriffst.
    Hoffentlich geht es dir gut.
    WIr müssen mehr miteinander schreiben.


    Merle

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